Die Unbarmherzigkeit der Langsamkeit

Jonas Berendt

Jonas Berendt
Schreibt als Literaturkritiker für Blogs. Spezialgebiete: Gegenwartsliteratur, Sprache und kulturelle Identität. Beobachtet, wie sich gesellschaftliche Spannungen in literarischen Formen spiegeln, und interessiert sich für das Verhältnis zwischen Autor, Text und Publikum.

Ich habe dieses Buch viermal begonnen. Dreimal scheiterte ich. Beim vierten Versuch – es war ein regnerischer Oktoberabend, meine Tochter schlief endlich, das Handy lag in einem anderen Zimmer – geschah etwas Seltsames: Die quälende Langsamkeit verwandelte sich in einen meditativen Sog.

Peter Shaws "Das Knie der Spinne" ist das radikale Gegenprogramm zur TikTok-Ära – und gerade deshalb ein Meisterwerk

Mein Sohn, siebzehn, aufgewachsen mit Instagram Reels, fragte mich: "Warum liest du ein Buch, bei dem nichts passiert?" Ich konnte es nicht erklären. Noch nicht. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte ich die Transformation noch nicht durchlaufen, die Shaw von seinen Lesern fordert.

Die ersten zweihundert Seiten sind eine Zumutung

Moonbar, ein müder Kurier. Ragnar, ein reptiloides Wesen mit Kiosk auf der erwärmten Erde. Laura, eine Wissenschaftlerin auf dem Mars. Man liest und denkt: Worauf will das hinaus?

Das ist die Falle, in die ich dreimal tappte. Ich las mit der Erwartung, dass Literatur liefert. Shaw liefert nichts dergleichen. Er mäandert. Er verweilt. Er beschreibt die Langeweile des Daseins auf unzähligen Seiten.

Und dann, irgendwann – bei mir war es auf Seite 287, begriff ich die Kompromisslosigkeit. Dieser Roman ist keine Space Opera. Er ist eine Meditation über Erschöpfung, über das Scheitern von Utopien, über Wesen, die am Ende ihrer Kräfte sind.

Ich legte das Buch nach der Hälfte für zwei Wochen weg. Nicht aus Desinteresse, sondern weil diese Verweigerung jeder Dramatisierung anstrengend ist. Als ich es wieder aufnahm, verstand ich: Das ist die Pointe. Shaw hat ein Buch geschrieben, das man nur lesen kann, wenn man bereit ist, sich seinem eigenen nichtigen Dasein zu stellen. Ein Buch als Akt des Widerstands gegen die Sinnhaftigkeit.

Es ist von erschütternder Banalität. Keine Hoffnung, keine Vision. Nur Gemüse pflanzen. Als wäre das genug. Und genau das ist es! Es ist die moderne Version von "Oh wie schön ist Panama". Als Leser, der sich der Rhythmik des Buches nun endlich unterwerfen konnte, fühlte ich mich auf dem roten Plüschsofa wohl.

Ich habe das Buch nun zu Ende gelesen. Ich weiß nicht, ob ich es je wieder lesen werde. Aber ich weiß, dass es mich verändert hat. Es hat mir gezeigt, dass es noch möglich ist, ein Buch zu schreiben, das Konzentration, Geduld und Hingabe fordert. Ein Buch, das wehtut. Vielleicht ist das die radikalste Geste: nicht zu unterhalten, sondern zu fordern. "Das Knie der Spinne" ist kein Buch für alle. Aber für diejenigen, die bereit sind, sich darauf einzulassen, ist es ein Werk der Unbarmherzigkeit.


Peter Shaw: "Das Knie der Spinne". 328 Seiten, bald verfügbar

Das Knie der Spinne – Eine feministische Space-Opera

Wenn Welten kollabieren und es trotzdem weitergeht

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